Mit wenigen veränderten Spielregeln können wir der Klimakrise begegnen!
Diese Überschrift – ja sie darf an das so oft gesungene Lied „Nehmt Abschied Brüder“ anklingen, denn dort heißt es in einer Zeile „und wer es recht zu spielen weiß, gelangt ans große Ziel.“ Aber einmal alle Nostalgie beiseite: Diese Metapher vom Spiel trägt überraschend weit!
Das Thema Klimaschutz ist schwer zu fassen – und überdies mit der Vorstellung von Einschränkungen assoziiert: Kaum gibt es Vorschläge, etwa einen Veggieday einzuführen, die Pendlerpauschale zu kürzen, Fleisch teurer zu machen, Kreuzfahrten und Eigenheime zu verbieten oder Flüge im Inland zu streichen, schon empört sich die Republik. Sofort interpretieren wir und mit uns viele Interessensgruppen diese Vorschläge als Gängelei. Und das Unwort „Verzicht“ trifft immer wieder überraschend wie ein Bumerang die Klimaretter mit ihren gutgemeinten Vorschlägen. Der Rückzug ins Weniger ist auf diese Weise ebenso schwer vermittelbar wie die Forderung nach dem Ende des Wachstums. Geht es nicht anders?
Mikromanagement führt zu ermüdenden Auseinandersetzungen
Der Klimaforscher und Mathematiker Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geht die Thematik auf eine erfrischend neue Art an. Zunächst stellt er fest, wir Menschen bräuchten Räume, in denen wir wachsen dürfen! Wir wollen uns weiterentwickeln, und tatsächlich gibt es viele Dimensionen, in denen diese Entwicklung stattfinden könnte. Also Mehlwürmer statt Fleisch, Paddelboot statt Kreuzfahrt, ist das mit Entwicklungsräumen gemeint?
Entscheidend ist, dass Anders Levermann mit Begrenzungen oder Knappheiten nicht das oben beschriebene Mikromanagement wie Flugverbote oder den verordneten Veggieday meint. Seine Leitfrage zielt auf die strukturierenden Spielregeln ab, er fragt:
Was wollen wir denn nicht, wenn wir an Klimaschutz denken? Die Antwort darauf ist einfach: Wir wollen kein CO2 mehr, das ist alles!
Man verbietet das, was man nicht will, und nicht das, von dem man glaubt, dass es verursacht, was man nicht will. (Vgl. DIE ZEIT vom 17. 6. 2021) Also nicht das Fliegen, die Heizung, das Autofahren, das Fleisch usw. sind die Ursachen, es ist das dabei entstehende CO2! Nach dem Pariser Klimaschutzabkommen steht uns noch ein bestimmtes CO2-Budget zur Verfügung. Vgl. dazu auch meinen Beitrag https://erde2100.de/wie-weit-kommen-wir-mit-unserem-co2-budget/. Das ist die einzige Grenze, die wir bei der Klimafrage ziehen müssen. Was wir dann innerhalb der vorgegebenen Grenzen machen, das ist unserem Erfindungsreichtum überlassen.
Begrenzungen sind kein Übel an sich: Basketball
Basketball ist ein Spiel, bei dem es auf Sprungkraft, Ausdauer, Geschwindigkeit, Körpergefühl und Strategie ankommt – mindestens im gleichen Maße wie bei Spielen wie Handball, Fußball oder Baseball. Tatsächlich ist die Entwicklung des Basketballspiels eine Bild für Wachstum im endlichen Raum, das, was der Klimaforscher Anders Evermann fordert. Basketball ist ein Kind der Knappheit. Tatsächlich ist Basketball eine der wenigen Sportarten, die auf dem Reißbrett entwickelt wurden, vor mehr als 100 Jahren. Der Football-Trainer und Sportlehrer John Naissmith aus Ontario suchte nach einer Möglichkeit, seine Footballer auch im schneereichen und bitterkalten Winter fit zu halten. Allerdings waren die zur Verfügung stehenden Hallen eher klein. Er musste deshalb ein Regelwerk erfinden, das einerseits mit dem begrenzten Raum auskam, gleichzeitig aber all die Fertigkeiten schulte, die die Spieler für das „richtige“ Spiel brauchten. Beispielhaft ist hier die Schrittregel: 2 Schritte mit Ball sind erlaubt, mehr nicht. Beim Handball sind es drei Schritte, im Fußball gibt es keine Einschränkungen. Ist Fußball deshalb athletischer, interessanter oder schneller? Es ist einfach anders, vor allem aber, das Spielfeld ist größer. Bayern München etwa spielt auf einem 105m x 68m = 7140 m2 großen Feld. Beim Handball sind es noch 40m x 20m = 800 m2, und beim Basketball sind es nur noch 28m x 15m = 420 m2. In der Tat: Auf ein Feld des 1. FC Bayern München würden 17 Basketballfelder passen! Diese einstmalige „Notlösung“ ist in den USA zu einer der populärsten Sportarten geworden – und niemand würde dabei an Begrenzung oder Knappheit denken.
Ein Vergleich mit der Klimakrise und der damit verbundenen Begrenzung unseres CO2-Ausstoßes liegt nahe. Und genauso wenig, wie beim wir Basketball die Spielzüge, die verwendeten Techniken wie Sternschritt, Finten, Rückhandpässe verbieten, genauso wenig müssen wir nun den Menschen vorschreiben, was sie zu tun haben – vorausgesetzt, sie halten die einzige wichtige Regel ein: Kein CO2 freisetzen! Eine angemessene CO2-Steuer würde Flüge mit synthetischem Treibstoff attraktiv machen; sie würde die Fleischpreise an den tatsächlichen CO2-Fußabdruck anpassen, Hausbesitzern eine energetische Sanierung schmackhaft machen oder den Umstieg vom Verbrennungsmotor auf ein Elektroauto beschleunigen.
Knappheiten schaffen Innovationen, sie laden uns ein, etwas neu oder wieder zu entdecken.
Das Absehen von Regeln, die die Inhalte betreffen, würden uns die todsicher aufkommenden Konflikte über tausende von Mikroentscheidungen ersparen. Ja natürlich, Fliegen wäre teurer, aber es könnte klimaneutral sein, und eine energetische Sanierung kostet viel Geld, das evtl. für den Kauf von Konsumgütern oder für einen Urlaub fehlt. Das ist das eine. Aber es gibt noch eine andere Seite: Es ist das Neu- oder Wiederentdecken von Alternativen, die unsere Lebensqualität gar nicht berühren würden. Ich will nur wenige Beispiele anführen und gleich betonen, dass es nicht um Verbote geht.
Eines führt Dr. Eckart von Hirschhausen in seinem Buch „Mensch, Erde“. mit der modisch gewordenen und zur „Superfrucht“ stilisierten Avocado an. Für ihren Anbau werden Regenwälder gerodet und Menschen ihres Wassers beraubt werden. Ihr Transport verbraucht wegen der notwendigen Kühlung sehr viel Energie. Sie ist, wie von Hirschhausen schreibt, eine „Wasser- und eine Kalorienbombe“ (1000 Liter Wasser pro Kilogramm), und er fragt, warum müssen wir Avocados essen, wenn Walnüsse, die hier bei uns wachsen, mindestens gleichwertige Omega-3-Fettsäuren enthalten? Sollen wir also die Avocado verbieten? Nein, das wäre Mikromanagment! Wir müssten nur die wahren Kosten einrechnen.
Im Tessin gibt es eine alte Kochkultur, für die die Esskastanie als Mehllieferant und viele interessante Gerichte verwendet wird. Brauchen wir dann Mandeln mit ihrem ungeheuren Wasserbedarf für glutenfreies Mehl? Warum pflanzen wir im öffentlichen Raum für viel Geld überwiegend Bäume, die weder Nektar noch essbare Früchte liefern? Tatsächlich gab es – und es gibt sie noch – an Landstraßen eine Bepflanzung mit Apfel- und Birnbäumen. Das war sogar einmal vorgeschrieben, um die Bevölkerung mit Vitaminen zu versorgen.
Kreislaufwirtschaft ist ein ermüdend oft genannter Begriff, dem zudem das Bild der „Einschränkung“ anhaftet. Dabei wäre das oftmals gar nicht so schwer: Für einen neuen Akku meines (von einer Firma ausgemusterten) iPhone6 habe ich genau 11,96 € bezahlt. Die Reparatur hat allerdings ein Freund gemacht, der das notwendige Know-how und die richtigen Werkzeuge besitzt. Wir können entscheiden, wofür wir unser Geld ausgeben wollen.
Spielregeln schaffen immer Ungleichheiten
Jedes Spiel mit seinen Regeln schafft Gewinner und Verlierer. Beim Basketball wird zumindest im Profibereich kaum jemand in eine Mannschaft kommen, die oder der nicht wirklich groß ist. Der erfolgreichste deutsche Basketballspieler Dirk Nowitzki, der Jahrzehnte in der NBA spielte, ist 2,13 Meter groß. Aktuell misst der kleinste Spieler der NBA 1,75 Meter. Im Sport allerdings wird das nicht als Ungerechtigkeit empfunden, es gibt ja Alternativen zu Basketball.
Aber eine CO2-Steuer oder der Aufschlag der wahren Kosten für Wasser, Energie (die CO2-Steuer wird seit Beginn des Jahres 2021 nur auf fossile Heizstoffe und Kraftstoffe erhoben) oder menschenwürdige Bezahlung verändert den Preis und damit den gewohnten Zugang zu den Gütern. Deshalb muss es Regelungen geben, die diese Benachteiligung ausgleichen – selbst wenn wir akzeptieren müssen, dass es immer sehr reiche Menschen geben wird, die ihr Verhalten wegen der Verteuerungen nicht ändern müssen. Allerdings: Deutschland gehört zu den vier Ländern weltweit mit der ungerechtesten Verteilung der Vermögen, neben den USA, Schweden und China. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass bei der Einführung der CO2-Steuer sofort die sozialen Auswirkungen im Vordergrund stehen. Diese schon vorhandenen Ungerechtigkeiten schlagen also indirekt bei der Beurteilung einer CO2-Steuer durch – sie müssten sehr schnell beseitigt werden. Dann könnten wir gelassener über die Verteilung der Lasten einer solchen Steuer entscheiden.