Welche unserer Gewohnheiten leisten einen Beitrag zu Lebensqualität und Lebenszufriedenheit?

Die Frage nach dem guten Leben beschäftigte Menschen schon immer; und die Philosophen aller Zeiten machten uns Vorschläge, wie wir das hinbekommen können. Viele Menschen verbinden wir mit einem guten Leben wohl einen eher hedonistischen Lebensstil, der sich an der Fülle der Lusterlebnisse orientiert. Epikur war der geschickte Kalkulator der Lust, der in seinem berühmten Brief an Menoikos ein paar Regeln formulierte, dort heißt es: „Wir möchten ein gutes Leben haben und die Möglichkeit, unser Glück zu suchen. Darum wählen wir auch nicht jede Lust, sondern es kommt vor, dass wir über viele Lustempfindungen hinweggehen, wenn sich für uns aus ihnen ein Übermaß an Lästigem ergibt.“ Ein kluger Mensch also wägt ab, wie viel er trinkt, isst, welchen Verlockungen er nachgibt oder in welche Suchbewegungen er investiert. Er weiß ja, dass auch Abträgliches wie Übelkeit, Erbrechen und langfristigere Nachteile wie Krankheit oder zerstörte Beziehungen daraus entstehen können. Eine kalkulierte Selbstgenügsamkeit z. B. könnte schon deshalb sinnvoll sein, weil die Abwechslung Lust verschafft: Wer fastet, dem können selbst Wasser und Brot ein großer Genuss sein – und ein Gelage danach ist umso befriedigender.

Weil wir wissen, dass unser momentaner Lebensstil das Überleben unserer Spezies gefährdet, liegt es nahe, nach einem Zusammenhang zwischen CO2-Ausstoß und der Lebensqualität zu fragen. Kurzum, wie viel von dem, was wir für ein gutes Leben halten, hängt wirklich ab von den angelernten und vorherrschenden Lebensmustern, die für unseren CO2-Fußabdruck verantwortlich sind? Welches Gewicht für unsere Zufriedenheit haben unsere Essgewohnheiten, unsere Vorstellungen von Freizeit, von erfüllender Arbeit, von Mobilität usw.? Vielleicht finden wir auf diese Frage einige Hinweise, wenn wir CO2-Fußabdrücke von verschiedenen Menschen mit ihrer Lebenszufriedenheit vergleichen. Da sich Konsum- und Lebensmodelle in Gemeinschaften etablieren, betrachte ich dazu einige Staaten. Für Staaten wie Frankreich, Schweden und die USA können wir zunächst einmal annehmen, dass die Menschen dort in etwa auf einem gleich hohen Niveau leben. Geschärft wird diese Einschätzung, wenn wir dazu die OECD-Studie heranziehen, die die Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 1- 10 abfragt. Dabei spielen Kriterien wie Wohnverhältnisse, Gemeinsinn, Einkommen oder Beschäftigung eine Rolle. Hierbei ist erwähnenswert, dass Länder an der Spitze der Skala wie etwa Finnland, vor allem bei Kriterien Gemeinsinn, Bildung und Umwelt Spitzenwerte erreichen, das Einkommen hingegen eine vergleichsweise geringe Rolle spielt.

Allerdings muss beim Vergleich erwähnt werden, dass die offiziellen CO2-Bilanzen nicht die ganze Wahrheit abbilden. Beispielsweise hat Island mit fast 17 Tonnen CO2/Kopf europaweit fast die schlechteste CO2-Bilanz, verwunderlich für ein Land, in dem Wärme und Strom fast CO2-frei erzeugt werden. Es ist die Aluminiumindustrie, die sich dort wegen des billigen Stroms angesiedelt hat und diese Bilanz so schlecht macht. Für China gilt ähnlich, dass etwa 20% der Emissionen für Exportgüter und nicht für den Inlandskonsum entstehen. Für die CO2-Bilanz von Frankreich muss hinzugefügt werden, dass die 58 Atomkraftwerke die Bilanz deutlich verbessern. (Etwa mindestens 2 t mehr sind im Vergleich etwa zu Deutschland anzunehmen.) Schweden wiederum ist interessant, weil dort schon 1991 eine CO2-Steuer eingeführt wurde (115 Euro kostet aktuell die Tonne) mit dem Effekt, dass Schweden in der EU in Sachen CO2-Emission fast am Ende liegt. Die hohen Palmölimporte für die Produktion von Biodiesel von Schweden schlagen bei der offiziellen CO2-Bilanz zwar nicht zu Buche, müssten jedoch dem CO2-Budget zugerechnet werden. Aber Treibhausgas ist in den westlichen Ländern ein gängiger Exportschlager, wir müssten dann auch bei anderen Ländern genauer hinschauen. Die hier verwendeten Zahlen für die CO2-Bilanzen schwanken in Abhängigkeit von der Quelle, ich denke, die Angaben bilden etwa den Mittelwert.

Zur besseren Einordung: Deutschland hat einen Wert bei der Lebenszufriedenheit von 7,8 bei einer CO2-Bilanz von 11 Tonnen/Kopf.

Diese Tabelle ermuntert geradezu, die Zusammenhänge zwischen Lebensstilen und Auswirkungen auf unsere Ökosysteme zu beleuchten. Der Unterschied zwischen den USA und den beiden anderen Ländern ist erstaunlich und wir sehen, dass zwischen CO2-Bilanz und Lebenszufriedenheit beim besten Willen keine Aussage der Art zu machen ist: “Je mehr, umso besser geht es den Menschen!“ Woher also kommt das Streben nach einem bestimmten Lebensstil, selbst wenn daraus keine überragende Lebenszufriedenheit erwächst?

Liegt es an den selbstverständlichen Lebensmustern, also den Gewohnheiten des Herzens, wie der amerikanische Soziologe Robert Bellah in seinem gleichnamigen Buch mit dem Untertitel „Individualismus und Gemeinsinn in der amerikanischen Gesellschaft“ das nannte? Sind die kulturellen Vereinbarungen so tief in unser Verhalten eingebrannt, dass sie wie automatisch unser Streben bestimmen, aber tatsächlich einen eher geringen Beitrag zu einem guten Leben leisten? Wir Deutsche schütteln den Kopf über das Recht amerikanischer Staatsbürger, eine Waffe zu tragen. Das mag ein Relikt auf dem Hintergrund der Eroberung des Westens sein, der entsprechende Verfassungsartikel stammt aus dem Jahr 1791; aber eine Einschränkung dieses Rechts? Undenkbar! Und warum müssen Amerikaner diese fetten und spritfressenden Autos fahren? Das erinnert an die Reaktionen auf die Diskussion einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen. Warum machen wir das zu einem nur schwer verhandelbaren Element unserer Mobilität? Warum fahren Franzosen eher Kleinwagen? Brauchen Europäer Haifischflossensuppe? Soweit ich weiß, steht diese Suppe selten auf unseren Speisekarten, in China hingegen ist es das Zeichen für Reichtum und Esskultur.

Ja, es gibt seltsam anmutende Regeln und dominierende Lebensmodelle, die wir von außen betrachtet nicht so recht verstehen. Das gab es schon immer, nur dass sie in anderen Zeiten das Überleben der Menschheit nicht gefährdeten. Und wir sind nicht müßig beim Entwickeln neuer Gewohnheiten. Beispielhaft will ich am steigenden Absatz von Flaschenwasser betrachten, dass sich immer wieder fragwürdige Gewohnheiten etablieren können, auch wenn das zunächst wie eine Banalität aussieht. Von 1970 (12,5 Liter) bis heute hat sich der durchschnittliche Jahresverbrauch pro Kopf mehr als verzehnfacht, auf etwa 150 Liter. Dabei gibt es wenig Grund, dem Wasser aus dem Hahn zu misstrauen, denn unser Trinkwasser wird so gut kontrolliert wie kein anderes Lebensmittel. Und Mineralien enthält das Trinkwasser genauso, nicht selten liegen die Quellen von Trinkwasser und „Mineralwasser“ keine 2 km auseinander. Dass dieser Trend den Geldbeutel belastet, scheint egal zu sein. Das Trinkwasser aus dem Hahn wird uns fast kostenlos frei Haus geliefert, ohne mühsames Schleppen von Wasserkästen und zum günstigen Preis von etwa 0,3 Ct/Liter. Das billigste Mineralwasser kostet 13 Ct/Liter, die teuren können auch mal. 4 €/Liter kosten und kommen dann von weit her. Wer etwas auf sich hält, der kann tatsächlich Wasser von den Fidschiinseln oder Gletscherwasser aus Island kaufen.

Leisten diese Wässer einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität und Lebenszufriedenheit? Marken wie Evian, Pellegrino usw. haben, wenn sie auf den Tisch kommen, schon einen weiten Weg hinter sich und zusammen mit der Abfüllung ist ihr CO2-Rucksack schon recht ​ schwer. ​ Durchschnittlich sind das in Deutschland 200 g CO2/l, und hochgerechnet auf die gesamte deutsche Produktion sind das 14.400.000.000 l x 0,2 kg/l = 2,66 Mrd kg = 2,66 Millionen Tonnen. Das ist angesichts der etwa 800 Mill Tonnen CO2-Emissionen in Deutschland nicht ausschlaggebend, aber es ist nicht nichts! Und darauf kommt es an: Dass wir wie Schlafwandler in viele Konsumgewohnheiten hineinrutschen, die in der Summe für unseren CO2-Fußabdruck doch eine Rolle spielen. Im Übrigen kommen in dieser Bilanz weder die Produktion der Flaschen, die ermüdend unlösbaren Vergleiche von PET- gegen Glasflaschen und das Plastik im Meer vor – alles Folgen einer einzigen, von der Werbemaschine geschickt getriggerten Entscheidung.

Und wer meint, es wäre doch eine wesentliche Einschränkung von Lebensqualität, wenn uns das fehlte, der sollte sich nur für wenige Minuten einen Film des NDR anschauen! Er zeigt: Praktisch niemand kann in einem Blindtest das Wasser von den Fidschiinseln oder woher auch immer von Leitungswasser unterscheiden. Und genauso wenig ist es möglich, bei vielen Fruchtgetränken überhaupt die Frucht zu identifizieren. Ab Minute 16 des Beitrags ist dieser desillusionierende Test zu sehen. Wir erkennen dann, dass wir als Verbraucher zum Narren gehalten werden – und dass der Gesetzgeber zuschaut, wie wir betrogen werden.

https://www.ardmediathek.de/ndr/player/Y3JpZDovL25kci5kZS83ZTQ3ZGM0OS0xYTRmLTRlOGUtYWM5ZS00NThhODFjMTAzNzc/die-tricks-der-getraenkeindustrie

Diesen Beitrag will ich mit einem der mühelosesten Erfolge meines Berufslebens beenden, ein Erfolg, der nichts mit meiner eigentlichen Arbeit zu tun hatte. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Menschen von den Warnungen der Werbeindustrie überzeugen lassen, dass sportliche Betätigung das Trinken von isotonischen Getränken lebensnotwendig macht. Diese Werbung kam auch bei den Schülern an mit dem Ergebnis, dass praktisch jeder Schüler irgendetwas mitbrachte: Apfelschorle und teilweise recht teure isotonische Getränke, meist in 0,3 Literflaschen mit einem Energiegehalt von rund 130 kcal. Die Angst, nach 5 Minuten Aufwärmen unter der Belastung zusammenzubrechen, war bei den Schülern so stark entwickelt, dass sie tatsächlich dauernd zu ihrer Flasche liefen, um sich für weitere Anstrengungen zu wappnen. Darauf reagierte ich wie folgt: Ich las den Schülern von den Etiketten vor, wie viele Kilokalorien jede Flasche enthielt (im Schnitt 130 kcal), dass also bei einem täglichen Konsum einer einzigen Flasche pro Jahr 350 x 130 kcal = 45500 kcal zusammenkommen. Da aus 7000 kcal ungefähr 1 kg Körperfett wird, entsteht dabei eine hohe Kalorienlast, aus der am Ende des Jahres rund gerechnet 6 kg Fett werden! Das klingt nicht gerade sexy. Sich so eine Haltung anzugewöhnen, ist einfach dumm, so sagte ich, denn das Trinken bei großem Durst ist schnell und geschieht nicht um des Genusses Willen. Kurzum, ich verbot diese Getränke und erlaubte nur noch Wasser, vielleicht mit einem Schuss Zitrone darin. Als ich davon meinen Kolleg*innen erzählte, meinten sie, mein Telefon stünde heute sicherlich nicht mehr still. Nun, es gab keine einzige Reaktion und in der nächsten Stunde hatte jeder Schüler Wasser dabei. Ich vermute, dass viele Eltern heilfroh waren, die teuren Produkte nicht mehr kaufen zu müssen.

Ich bin mir sicher, Epikur hätte meine Argumentation gebilligt.

Franz Zang
Author

Der Autor Franz Zang war 40 Jahre Lehrer für Mathematik, Sport und Ethik an einem Gymnasium. Er ist seit vielen Jahren im Naturschutz engagiert und seit 2012 Vorsitzender des BUND Naturschutz der Kreisgruppe Bad Kissingen im Biosphärenreservat Rhön. Er ist Beirat des BUND Naturschutz in Bayern e. V. und Bundesdelegierter.