Wir sollten mitentscheiden dürfen

Zugegeben, „Energiewende“, dieses Wort ist zwar eines der Schlagwörter unserer Zeit, aber damit können wir nur schwer etwas anfangen oder gar so etwas wie Faszination oder Charme verbinden. Für einige klingt das nach Elektroautos, nach ein bisschen mehr Fahrrad oder weniger Fleisch. Aber egal, welche Assoziationen Menschen haben, ich will in den folgenden Beiträgen – das ist erst mal Teil 1 – mit Fakten klarstellen, was sich hinter diesem Wort verbirgt. Da ich nicht an der Notwendigkeit dieser Wende zweifle – vgl. z. B. meinen Blog  https://erde2100.de/welche-illusionen-mussen-wir-im-kampf-gegen-die-erderhitzung-begraben/ – komme ich gleich zum Thema; Klimawandel ist nicht mehr ferne Zukunft, und das bisherige Sedativum „Uns wird schon was einfallen!“ sollten wir aus unserem Denken verbannen.

Was könnte denn geschehen, wenn wir den öffentlichen Diskurs über mögliche Wege zu einer Wende nicht führen würden? Es reicht auch so schon, dass viele Menschen eher abwehrend ängstlich, polemisch oder mit völligem Unverständnis reagieren. Sollen Politiker diesen steinigen Weg top down bestimmen, nur, um dann ständig gegen die Widerstände anzureden? Wenn Klimaschutz gelingen soll, dann sollten wir alle – Kommunen, Regionen und jede und jeder Einzelne – bei der Gestaltung eingebunden sein und initiativ werden können. Und dafür müssen wir uns nicht nur so ungefähr auskennen mit der Thematik. Beim Kauf eines Autos stürzen wir auch nicht blindlings in ein Autohaus, da wägen wir vorher schon mal Kosten und Vor- und Nachteile eines Typs ab. Und so ist das hier auch.

 

Orientierung ist also gefragt

Das Bundesverfassungsgericht hat am 29. April 2021 die Maßnahmen der Bundesregierung zum Klimaschutz als ungenügend abstraft – ein unmissverständlicher Hinweis auf die Dringlichkeit zum Handeln. Schluss jetzt mit dem Geplänkel, heißt das. Einer der Kernsätze in der Begründung greift das Enkelthema auf:

Heutige Generationen greifen in die Freiheitsrechte zukünftiger Generation ein, indem sie sich bis 2030 zu viele Treibhausgasemissionen zugestehen: Das Klimaschutzgesetz hat Reduktionslasten in unzulässiger Weise auf die Zukunft und die dann Verantwortlichen verschoben.“

Und damit das nicht alles nur global oder national und damit im Ungefähren bleibt, will ich das Thema Energiewende ganz konkret machen. Ganz konkret an dem Landkreis Bad Kissingen, in dem ich lebe. Was kommt da auf uns zu? Aus dieser regionalen Perspektive können wir das für Deutschland und dann auch global weiterdenken.

Und damit der Einstieg schon mal emotional positiv sein, sonst liest niemand weiter, fange ich mit der Erfolgsgeschichte der Erneuerbaren Energien (EE) an. Die folgende Grafik sieht doch ermutigend aus, das sieht ja tatsächlich wie eine Exponentialkurve aus! Mehr als die Hälfte unseres Stroms kommt von den EE!  Das hätte vor 10 Jahren niemand auch nur zu träumen gewagt!

Quelle: pv magazin Deutschland

Wenn wir diese Entwicklung aus der Sicht der CO2-Emissionen betrachten, dann wird der Erfolg ebenfalls augenfällig: Der CO2-Ausstoß für die Erzeugung von Strom geht sichtbar zurück.

Höhe der CO2-Emissionen durch Stromerzeugung in Deutschland in Mio Tonnen. Quelle: Statstika 20/21

Und jetzt gleich konkret für den Landkreis Bad Kissingen. Hier ergibt sich für Stand Ende 2020 etwa folgendes Bild für die Stromproduktion:

Quelle: Die Daten sind von Theo Hein (AK Energie BN Bad Kissingen) dem aktuellen Marktstammdatenregister entnommen. Sie enthalten keine Beiträge von Biogasanlagen.

Das sieht ja richtig gut aus, sind wir also schon bald CO2-neutral? Noch ein paar Windräder, noch ein paar Freiflächen-Solaranlagen und unsere Aufgabe ist erledigt? Leider nicht, wir müssen etwas genauer hinzuschauen, denn es gibt mindestens zwei wichtige Aspekte, die wir nicht vergessen sollten: Erstens gibt es in unserem Landkreis kaum stromintensive Industrie und so gut wie keine Chemie- und Stahlindustrie, die enorm viel Energie in Form von Prozesswärme oder Rohstoffe wie Öl und Gas verbrauchen: Für Kunststoffe, Dünger, Stahl usw. Deren Standorte sind etwa im Bayerischen Chemiedreieck bei Altötting zu finden, im Ruhrgebiet, in Salzgitter oder bei Eisenhüttenstadt. Mit anderen Worten: Das Label CO2-neutral für einen Landkreis wäre im Landkreis Bad Kissingen relativ leicht zu bekommen; im Vergleich zu den Regionen, in denen sehr viel mehr Strom verbraucht wird.

Der zweite Faktor, der ziemlich viel Wasser in den Wein gießt, ist die Tatsache, dass Strom nur einer von vielen Sektoren ist, für die wir Energie verbrauchen. Tatsächlich beträgt der Anteil des Stroms in Deutschland nur ein Fünftel (20%) der Energie, die wir verbrauchen. Wir fahren Auto, wir düngen unsere Felder, fliegen in den Urlaub, kaufen Lebensmittel, Legosteine, Heizungsanlagen usw., und dabei spielt Strom nur eine Nebenrolle. Mit anderen Worten: Selbst wenn wir unseren gesamten Strom aus EE erzeugen würden, könnten wir auf keinen Fall von einer Energiewende sprechen. Wir hätten gerade mal einen kleinen Schritt gemacht, und zwar einen Schritt, der gar nicht mehr so groß scheint.

 

Welche Energie wir außer Strom noch verbrauchen

Tatsächlich gibt es Sektoren, die größer als der Stromsektor sind: der Verkehr, der Wärmebedarf für unsere Wohnungen, die Landwirtschaft und die schon genannte Industrie.  Aber ich will erst einmal auf die Gesamtbilanz schauen, also der Frage nachgehen, wie viel Energie wir überhaupt in Deutschland brauchen. Die folgende Grafik gibt uns einen Überblick, wo die Energie herkommt. Entscheidend ist die Menge: Es sind etwa 3500 TWh, die wir in jedem Jahr für unsere Versorgung brauchen, eine Zahl, die uns zunächst gar nichts sagt. Aber am Beispiel von Mineralöl, das ja etwa ein Drittel der Primärenergie beträgt, lässt sich das darstellen. Da die inländische Produktion vernachlässigbar gering ist, betrachte ich den Import von Rohöl nach Deutschland. Das sind rund 85 Millionen Tonnen oder etwa mehr als 600.000.000 Barrel. (mit 159 l pro Barrel)

Quelle: Statistika

An dieser Stelle muss der Begriff Primärenergie erklärt werden, da er für das Verständnis und bei den weiteren Überlegungen eine Rolle spielt: Der Begriff Primärenergie beschreibt die in einem Energieträger vorhandene Energiemenge. So sind in einem Kilogramm Kohle knapp 5,4 Kilowattstunden an Energie enthalten usw. Und nun können wir auch eine erste Überschlagsrechnung für die Menge an Öl, Kohle usw. machen, die wir pro Kopf in Deutschland verbrauchen.

3500 TWh = 3500.000 GWh = 3500.000.000 MWh = 3500.000.000.000 kWh. Und 3500.000.000.000 kWh : 83.000.000 Einwohner ergeben in etwa 42.000 kWh/Kopf. Was sagt uns diese Zahl? Wissen Sie zufällig, wie hoch Ihre Stromrechnung ist? (Durchschnittlich 1600 kWh/Kopf)

Aber Sie tanken ja kein Rohöl, und das Rohöl muss ja auch an Ihre Tankstelle geliefert werden. Das heißt, aus dem Rohöl werden durch energieintensive Verfahren die erst dann verwertbaren Produkte wie Benzin, Heizöl oder Kerosin gemacht. Für diesen Raffinerieprozess bleiben dann beim Benzin noch gut 80% der im Rohöl enthaltenen Energie übrig. Diese Verluste entstehen bei der Umwandlung aller Primärenergien, so dass am Ende nur ein Teil der ursprünglichen Primärenergie für die Nutzung zur Verfügung steht. Dieser Teil heißt Endenergie. Auf diese Weise werden aus 3500 TWh Primärenergie dann 2500 TWh Endenergie, ein doch beträchtlicher Verlust durch Verarbeitung, Transport … Die folgende Grafik zeigt diesen Unterschied sehr deutlich und sie zeigt auch, dass auch noch vorher z. B. bei der Öl- oder Gasförderung und durch den Transport nach Deutschland Verluste entstehen. Entscheidend ist, dass nur ca. 71% der Primärenergie als Endenergie für den Verbraucher zur Verfügung steht. Diese Zusammenhänge sind insofern von Bedeutung, als sie uns Hinweise liefern, an welchen Stellen wir für eine Energiewende anpacken können. (Hier ist die Einheit Petajoule (PJ) verwendet, es gilt 1 TWh = 3,6 PJ)

Zu betrachten sind nur die Teile des Bildes ohne den rot umrandeten Teil. Näheres dazu in Teil 2

Verteilen wir nun die Endenergie statt der Primärenergie, so sinkt der Prokopfverbrauch deutlich von 42.000 kWh auf etwa 30.000 kWh.

Um diesen Teil 1  nicht mit einer Herausforderung zu beenden, für die eine Bewältigung nicht in Sicht ist, will ich eine konkrete Maßnahme nennen: Wenn Sie für einen Zweipersonenhaushalt eine 10 kWp-Solaranlage auf dem Dach haben, dann liefert diese einen durchaus nennenswerten Anteil am Prokopfverbrauch wenn wir einen Ertrag von 9000 kWh/Jahr zugrunde legen: 4500 kWh pro Person von den genannten 30.000 kWh. Aber auch diese 30.000 kWh sind nicht in Stein gemeißelt, denn Endenergie ist nicht das letzte Wort: Es gibt so etwas wie Effizienzgewinne, beim Umstieg von der Glühlampe auf die LED haben wir das ja schon erlebt:  Der Wirkungsgrad einer Glühlampe lag bei nur 5% ! Bei der LED sind das etwa 40 %, ein deutlicher Fortschritt. Für die gleiche Lichtleistung brauchen wir nur noch den achten Teil an elektrischer Energie als vorher. Weiteres zu diesem Thema aber im nächsten Teil.

Und noch einmal zur Erinnerung: Energiewende bedeutet: Kein Öl, kein Gas und keine Kohle mehr (und Kernenergie sowieso nicht), also den kompletten Ausstieg aus den fossilen Energieträgern. Angesichts der obigen Zahlen ist das tatsächlich eine riesige Aufgabe.

 

 

Franz Zang
Author

Der Autor Franz Zang war 40 Jahre Lehrer für Mathematik, Sport und Ethik an einem Gymnasium. Er ist seit vielen Jahren im Naturschutz engagiert und seit 2012 Vorsitzender des BUND Naturschutz der Kreisgruppe Bad Kissingen im Biosphärenreservat Rhön. Er ist Beirat des BUND Naturschutz in Bayern e. V. und Bundesdelegierter.