Der Umstieg auf das E-Auto allein hat nichts mit einer Verkehrswende zu tun

Die Anzahl der in der Bundesrepublik gemeldeten Pkw erreichte am 1. Januar des Jahres 2020 mit rund 47,7 Millionen Fahrzeugen den höchsten Wert aller Zeiten. Ist das ein gutes Signal oder denken wir bei diesen Zahlen eher an Feinstaub, Staus, Lärm, Verkehrstote, dem Auto überlassene öffentliche Räume, ja und auch an das Klima? Aber jetzt wird alles besser: Mit Carsharing, Elektroautos und Roboter-Taxis, nicht zu vergessen die Flugtaxis unserer Digitalministerin, soll der Verkehr nachhaltiger werden. Aber ist das eine Verkehrswende, die ihren Namen verdient?

Widersprüchliche Aussagen zum Vergleich von Elektroautos mit Benzin- und Dieselautos haben viele Interessierte verunsichert. Inzwischen aber liegen die Fakten auf dem Tisch, Studien zu einer „Break-even-Laufleistung“, ab der ein Elektroauto eine günstigere Ökobilanz als der Verbrenner hat, gibt es für unterschiedliche Szenarien. Bestimmt werden die Ergebnisse, was nicht anderes zu erwarten ist, durch Kriterien, die abhängig  sind vom Strommix der Standorte, an denen Autoteile und Batterien hergestellt werden und vom Strommix  des Ladestroms. Die Studie des Branchendienstes für Elektromobiltät (electrive.net) etwa kommt zum Ergebnis, dass sich bei günstigen  Voraussetzungen Werte zwischen 20.000 km (Batterie aus Windstrom) und 35.000 km (Batterie aus Kohlestrom) bis zum Break-even ergeben. Bei einem Strommix, wie er grob dem aktuellen europäischen Mittelwert entspricht (für 2019 sind das lt. Statistika für Europa etwa 300 g/kWh), liegt der Wert bei etwa 50.000 Kilometern – je nachdem, ob man eine Second-Life-Nutzung für die Batterie annimmt oder nicht. Mit ungünstigen Parametern (mit Kohlestrom hergestellt und „dreckigem“ Strommix geladen), würde danach ein Break-even erst nach 310.000 Kilometern geschafft.

Nun, es gibt auch Studien, die übersichtlichere Ergebnisse liefern. Die Umwelt- und Verkehrs-NGO Transport & Environment etwa meldet „Auch bei Kohlestrom hat das E-Auto bei den CO2-Emissionen die Nase vorn“.  Die Gesamtbilanz ist hier angegeben, ein Verfahren, in dem der Energieeinsatz von Anfang bis Ende durchdekliniert wird. Diese Ergebnisse sind eindeutig, kurzum, das Elektroauto ist im Moment wohl die beste Lösung.

Aber reicht diese Gewissheit als Antwort auf die Klimakrise, auf die Notwendigkeit, weniger Flächen und Ressourcen zu verbrauchen, auf die Sehnsucht der Menschen, in lebenswerteren Städten zu leben und den öffentlichen Raum wieder zurückzugewinnen? Im Moment sieht alles nach einem glatten Übergang zu einem klimafreundlicheren  Verkehr aus: Die Bundesregierung legt einen Gesetzentwurf für den Ausbau der Ladeinfrastruktur an Gebäuden vor, das <i>Fraunhofer-Institut</i> rechnet uns in ihren „13-Thesen-Wie-die-Energiewende-gelingen-kann“ vor, wo der Strom künftig herkommt, alles okay also?

Ein Elektromotor bedeutet ja keine Neuerfindung des Automobils, wir wechseln nur die Antriebstechnik!  Kann das E-Autos also die Probleme lösen, die sein Vorgänger geschaffen hat?  Der Glaube daran erweist sich als fragwürdig, die Metapher vom Wein in alten Schläuchen passt durchaus: Es ist keineswegs ausgemacht, dass die neuen Mobilitätsdienstleistungen zu weniger Pkw´s auf der Straße führen. Wenn der motorisierte Individualverkehr durch Carsharing, autonome Autos oder durch günstige Fahrdienste wie Uber immer attraktiver wird, könnten Menschen zwar auf die Anschaffung privater Autos verzichten; aber weniger Autos führen nicht automatisch dazu, dass die Straßen leerer würden. Ja es könnte durchaus passieren, dass Pkw´s unterm Strich häufiger als zuvor genutzt werden. Wer würde noch Fahrrad, Bus oder S- und U-Bahnen nutzen, wenn irgendwann eine dichte Flotte selbstfahrender Taxis durch die Städte rollt? Selbstverständlich mit Flatrate.

Dann wäre es vorbei mit weniger Asphalt in den Städten, mit mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer, mit Straßen, auf denen Kinder weniger Gefahren ausgesetzt sind. Ohne einen kundenorientierten ÖPNV, der die digitalen Technologien nutzt, um beispielsweise Busrouten dynamisch an den Bedarf anzupassen, ohne eine ÖPNV-Struktur, die den Benutzern das Gefühl nimmt, immer zu spät zu kommen, weil der nächste Bus erst in einer halben Stunde fährt und ohne eine Ausbauoffensive für den Radverkehr in den Städten würde sich nicht viel ändern. Und der aktuell zerstörerische Wahnsinn würde weitergehen: Weiterhin Umgehungsstraßen, Begradigungen und Verbreiterungen, um den Verkehrsfluss zu gewährleisten, noch mehr Kreisel und Luxusabbiegespuren mit einem enormen Flächenbedarf.

Die Kosten dieser Art von Mobilität müssen offengelegt und mit den Interessen der Gesellschaft abgeglichen werden. Ohne diese Kostenrechnung als Leitplanken wird eine „UBERisierung“ erfolgen, wie sie bereits in den USA zu beobachten ist, so der BUND in seinem Konzept für den Verkehr der Zukunft. Es entstünden prekäre Jobs ohne Absicherung und andererseits „Uber-Staus“, weil mehr Pkw in den Städten fahren, die dem ÖPNV die Fahr gäste an den aufkommensstärksten Haltestellen des Nahverkehrs abnehmen. Klimagerecht wäre das nicht, denn auch diese Autos brauchen Energie, auch wenn der Strom von Wind oder Sonne kommt. Sie verbrauchen knappe Rohstoffe, auch ihre Reifen nutzen sich ab, auch sie brauchen eine Infrastruktur von Tanksäulen usw.

Der Berliner Philosoph Christian Uhle nennt die aktuell kursierenden Zukunftsvisonen denn auch „reichlich unvisionär“. Er sieht auch die soziale Dimension dieser Entwicklung und meint: „Wir hätten unsere Gesellschaft wieder ein Stückchen mehr atomisiert, wenn wir anderen Menschen weniger über den Weg laufen und uns stattdessen in smarten Kapseln voneinander abschirmen.“

 

So überzeugend finde ich diese Argumentation nicht. Letztlich werden zwei Aspekte die Entwicklung bestimmen: Einmal die guten Beispiele, wie Städte und Gemeinden sich ihren öffentlichen Raum zurückerobern; wie etwa die Stadt Frankfurt, die ein großes Stück des Mainufers von Autos befreit hat oder die Stadt München mit ihrem Radentscheid. Sie werden Schule machen. Zum Zweiten wird die Klimakrise in den kommenden Jahre unsere Entscheidungen stärker bestimmen als viele sich das jetzt noch vorstellen können.

Franz Zang
Author

Der Autor Franz Zang war 40 Jahre Lehrer für Mathematik, Sport und Ethik an einem Gymnasium. Er ist seit vielen Jahren im Naturschutz engagiert und seit 2012 Vorsitzender des BUND Naturschutz der Kreisgruppe Bad Kissingen im Biosphärenreservat Rhön. Er ist Beirat des BUND Naturschutz in Bayern e. V. und Bundesdelegierter.